Es gibt historische Augenblicke im Leben eines Unternehmens, die für das Schicksal, nicht nur der nächsten Monate, sondern einer ganzen Generation entscheidend sind. Die Erkenntnis, dass ein solch historischer Moment da ist, reift vielfach erst in der Retrospektive. Die Rasanz unserer Zeit, getrieben von der indoktrinierten Notwendigkeit des Wachstums machen das Innehalten zu einer raren Fähigkeit. Die Angst überrannt zu werden, wenn man auch nur ganz kurz stehen bliebe, ist ständiger Begleiter vieler Unternehmenslenker.
Die Gefahr, als Familienunternehmen die Covid-Pandemie nicht oder sehr geschwächt zu überleben, ist groß. Laut den Berechnungen von Euler Hermes steigen die Insolvenzen zwischen 2019 und 2021 weltweit um 31%. Die Corona Pandemie ist hierfür ein wesentlicher Grund, aber nicht der einzige. Vielfach treffen in kurzer Zeit Mehrfachrisiken aufeinander, die sich in aggregierter Form entladen. Einige dieser Risiken sind exogener Natur; schwierig, wenn überhaupt, vorherzusagen und zu verhindern. Naturkatastrophen, Unglücke und Schicksalsschläge gehören dazu. Wie man im Fall des Eintreffens mit ihnen umgeht, ist schon eher gestaltbar. Andere Risiken hingegen kündigen sich frühzeitig an. Die Frage ist nicht „ob“ sie eintreffen werden, sondern „wann“. Für diese Risiken kann man vorsorgen, sich schützen und vor allem rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, sodass sie ihre zerstörerische Energie nicht entfachen können. Zu diesen erkennbaren und gegensteuerbaren Risiken von Familienunternehmen gehören unter anderem folgende:

- Nachfolge & Übergabe: Nur ca. 30% der Familienunternehmen schaffen es in die dritte und ca. 15% in die vierte Generation. In etwa 30.000 Unternehmensnachfolgeregelungen stehen in den nächsten Jahren allein in Deutschland an und in ganz Europa sind es in etwa 150.000. Jährlich! Ein Großteil von diesen wird nicht erfolgreich sein. Nur wenige werden Maßnahmen zur Eindämmung in weiser Voraussicht planen und strukturiert angehen.
- Digitalisierung: Jährlich wird die Statistik, „This is what happens in an internet minute“ erstellt. Sie zeigt, was Digitalisierung für Menschen im täglichen Leben bedeutet. 2020 wurden in jeder Minute weltweit 764.000 Stunden Netflix Filme, 4,7 Millionen YouTube Videos angesehen, 1,1 Millionen USD in Onlineshops ausgegeben, 59 Millionen WhatsApp Nachrichten gesendet. Nahezu 60% der Weltbevölkerung hat Zugang zum Internet und nutzt zu 90% mobile Geräte. Über 50% der Weltbevölkerung tummelt sich in Social Media Plattformen. Was das heißt? Ohne digitale Kompetenz gibt es in Zukunft kein Überleben.
- Neue Geschäftsmodelle: Olivetti, Kodak, Nokia, WhatsApp, Wikipedia, Netflix, Amazon sind kennzeichnend für die disruptive Macht digitaler Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, im Guten wie im Bösen. Das kompromisslose Arbeiten der digitalen Revolutionäre an disruptiven Ideen kombiniert mit der Ohnmacht und z.T. Arroganz der traditionellen Marktgrößen erzählen spannende Dramen. Die Erfolgsaussichten neuer Geschäftsmodelle zu bewerten ist schwierig, weil sie immer in der Nische geboren werden. Wer weiß schon frühzeitig, was sich durchsetzen wird und was nicht. Dennoch, Unternehmenslenker sollten das eigene Geschäftsmodell immer wieder auf den Prüfstand stellen unter der Annahme, dass gerade jemand „unmöglich Geglaubtes möglich macht.“
- Finanzielle Fragilität: Aufgrund von Corona weisen viele Familienunternehmen finanzielle Schieflagen auf. Die Verschuldung steigt, die Profitabilität leidet und trifft auf eine nicht ausreichende Kapitalisierung. Italienischen Familienunternehmen fehlen laut Euler Hermes 70 Milliarden Euro an Kapital, deutschen lediglich 3 Milliarden. Bereits vor der Krise schätzt man die Zahl der faktisch insolventen KMU’s in Italien auf 20%, in Deutschland und Frankreich auf 10%. Finanzielle Fragilität ist kein guter Ausgangspunkt, um Krisen eines Corona-Ausmaßeses zu überstehen. Überzeugungskraft und Verhandlungsgeschick gepaart mit Kreativität und Glück können im Einzelfall rettend sein. In der Regel sind sie es nicht.
- Unerfüllte Kundenerwartungen: Unternehmen haben nur eine Existenzberechtigung. Erfüllen sie diese nicht, ist ein langfristiges Überleben undenkbar. „Unternehmen sind für Kunden da.“ Dieser einfache Grundsatz treibt die Gründergeneration an. Im Laufe der Generationen kann diese „Ursprungs-Philosophie“ verblassen. Für jene Traditions-Unternehmen, deren Selbstbewusstsein einer verzerrten Realität entspricht, weil sie auf Geschichte, nicht aber auf derzeitigen Leistungen beruht, könnte es gefährlich werden. Kundenerwartungen dauerhaft zu ignorieren kann sich kein Unternehmen leisten.
- Schlechte Unternehmenskultur: Man möchte meinen, innovative Produkte und Dienstleistungen und effiziente Prozesse würden die wirklichen Vorteile eines Unternehmens sein. Doch es ist verbreitete Praxis, Produkte, Serviceleistungen und Abläufe zu kopieren und mit der Kopie schwindet auch der Wettbewerbsvorteil. Unkopierbar hingegen ist die Unternehmenskultur, denn diese spielt sich zwischen Menschen ab. Es sind Tausende von zwischenmenschlichen Beziehungssituationen, die eine Unternehmenskultur definieren. Wenn diese wertschätzend, fair, engagiert, kompetent, vertrauensvoll und kundenorientiert ist, dann wird sich auch Erfolg einstellen. Das Gegenteil ist ebenso gültig, denn eine Unternehmens-Unkultur bringt jede Organisation in Schieflage, spätestens dann, wenn die kompetentesten Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Die Arbeit an der Unternehmenskultur ist komplex und vielschichtig und deshalb so schwierig. Aber sie zahlt sich aus.
- Klumpenrisiko: Unternehmen scheitern nicht selten daran, dass sie anscheinend alternativlos der Macht einzelner Kunden oder Lieferanten ausgeliefert sind. Gegenmaßnahmen sind dann angebracht, was nicht heißt, dass man die heikle Kunden- oder Lieferantenbeziehung abrupt beendet, sondern, dass man einerseits im Vertrieb entsprechende Akzente setzt und die Beschaffungssituation ebenso strategisch ausbalanciert durch die Suche zusätzlicher Lieferanten, Insourcing oder über strategische Beteiligung am bestehenden Partner.
- Key Performance People: Es gibt Fach- und Führungskräfte in Unternehmen, die den Unterschied ausmachen, ob man langfristig erfolgreich ist oder nicht. Das Bonmot „Jeder ist ersetzbar“ ist zwar richtig, aber das plötzliche Ausscheiden von sogenannten Key Performance People ist vor allem für kleinere Unternehmen schwer verkraftbar. Der Verlust von herausragenden Leistungsträgern schafft große Probleme, die das Unternehmen oft über Jahre schwächt.
- Branche: In professionellen Vermögensmanagementkreisen, werden Branchen, die grundsätzlich weniger konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt sind als krisenresistent bezeichnet (z.B. Energie, Nahrungsmittel, Pharmazie). Ob eine Branche von einer spezifischen Krise betroffen ist oder nicht, hängt jedoch immer auch von der Art der Krise ab. Interessant ist, dass einige Unternehmen auch sogenannter Krisenbranchen aus Schocks gestärkt hervorgehen, während das Gros ihrer Wettbewerber leidet. Krisenresistente Unternehmen arbeiten finanz-wirtschaftlich weitsichtig und schaffen Ressourcen für die strategische Entwicklung des Unternehmens, die auch als Polster für schlechte Zeiten dient.
- Planloses Diversifizieren: Dass „Diversifikation der Schlüssel zum Erfolg sei, entstammt dem Vermögensmanagement und hat darin Gültigkeit. Doch die individuelle Investmentstrategie einer Person hat nichts mit der Unternehmensstrategie einer Firma zu tun. Die besten Familienunternehmen weltweit sind nämlich alles andere als diversifiziert. Sie sind stark konzentrierte Experten. Das planlose Diversifizieren eines Familienunternehmens in verschiedene, unabhängige Geschäftsfelder zehrt an den Ressourcen, und schwächt es durch Zerstreuung.
Das kombinierte Auftreten von mehreren Risiken zur selben Zeit, selten eine einzelne Schocksituation, wirft Unternehmen aus ihrer Bahn. Kleinere und mittlere Familienunternehmen sind dabei weit stärker betroffen als große. Familienunternehmen haben zwar Wurzeln, die sie mit großer Überlebensstärke ausstatten, wenn die beiden Systeme Familie und Unternehmen optimal interagieren. Sie haben aber auch immense Zerstörungspotentiale, falls dies nicht der Fall ist. Zudem sind die finanziellen Polster von kleinen Unternehmen im Normallfall bescheidener als jene größerer. Strategische Fehler oder das Entladen kombinierter Risiken haben für die Kleinen meist dramatische Auswirkungen. Die angeführten Risikofelder sollten nicht nur periodisch überprüft werden, sondern gerade in der derzeitigen Covid-Krise bietet sich ein geschärfter Blick auf die einzelnen Punkte an. Es könnte sein, dass man dadurch noch rechtzeitig Maßnahmen zur Eindämmung verborgener Risiken findet, die das vernichtend aggregierte Auftreten verhindern.